Immer wieder passiert mir das in der Natur. Ein Duft streift an meiner Nase vorbei und sofort steigen Bilder in mir auf. Wieso ist das so stark in mir? Stimmt da was nicht?
Weit gefehlt, alles in Ordnung. Das geht den meisten Menschen mit einem intakten Geruchssinn so. Aber was ist das?
Die Antwort ist relativ einfach.
Vom Riechen und Fühlen
Sehen, fühlen, schmecken oder hören wird erst vom Thalamus (das ist ein Teil unseres Gehirns) geprüft und wandert dann in die Hirnrinde.
Beim Riechen ist das anders. Die Gerüche geraten gewissermaßen ungefiltert in das limbische System. Bildlich gesprochen verbinden Sie sich direkt mit unseren Gefühlen und können deshalb besser in unserem Gedächtnis bleiben.
Das hilft uns vor allem, Gefahren schnell wahrzunehmen, wie z.B. verdorbene Nahrung, Feuer etc.
Aha!
In mir kommen viele Gefühle hoch, wenn ich diesen schweren, betörenden Duft der Lindenblüten rieche. Ich fühle mich eingelullt, geborgen im Duft der Blüte. Er umschmeichelt mich und verleiht mir gleichzeitig ein Gefühl von Leichtigkeit und Freude.
Und plötzlich ist da die Erinnerung…
….an den Urlaub in der Provence, es war Lindenblütenzeit.
Eine Duftreise zur Lindenblütenernte, genauer gesagt in das malerischen Dorf Buis-les-Baronnies an dem kleinen Fluss Ouveze, in der Gegend von Les Baronnies.
Ich habe dort bei der Lindenblütenernte geholfen und das lief in etwa folgendermaßen ab.
Die Bauern legen Tücher unter die Bäume. Die Blüten werden samt der Tragblätter gepflückt und erstmal auf den Tüchern gesammelt. Die Lindenblüten müssen ganz geöffnet sein, damit sie ihren Duft freigeben können, dürfen aber noch nicht abfallen. Der Zeitpunkt muss gut abgepasst werden.
Per Handlesung werden dann zu große Blätter oder alte Blüten ausgelesen. Das ist aufwendig, trägt aber zur Qualitätssteigerung bei. Die Insekten haben uns zerfressen, aber es war ein einmaliges Erlebnis, in diesem wunderbaren Duft zu arbeiten.
Sind die Blüten gepflückt, halten sie sich ca. 10 Tage. Je schneller die Blüte in die Verarbeitung oder Trocknung geht, desto besser die Qualität.
Ein Lindenbaum beginnt erst nach 6 Jahren zu blühen, eine rentable Ernte bekommt man jedoch erst nach ca. 20 Jahren. Dann liegt der Ertrag eines Baumes zwischen 40-60 kg Blüten.
Die beste Qualität der Lindenblüten kommt übrigens aus der Gegend um Les Baronnies.
Das Fest der Lindenblüten
Nachdem die Blüten getrocknet waren, das dauert je nach Wetterlage 6-10 Tage, ging es zur Fête du Tilleul, dem Fest der Lindenblüten.
Jedes Jahr im Juli, am ersten Mittwoch findet hier der Lindenblütenmarkt statt. Ein traditioneller Bestandteil des Stadtfestes.
In Buis-les-Baronnies treffen die Lindenblütenverkäufer ab 7.00 Uhr ein. Um neun Uhr spätestens ist hier reges Treiben. Lieferwagen mit Dachgepäckträgern voll Lindenblüten, in Bündeln gepackt, den sogenannten bourras oder trousses. Das sind Säcke, die an den Ecken geschnürt sind und zwischen 15-20 kg wiegen.
Der schwere Duft der Lindenblüten hängt in der Luft. Die Stimmung ist ausgelassen, aber auch ein wenig gespannt. Was wird die Ernte in diesem Jahr bringen?
Wenn das Markttreiben losgeht, steht neben jedem Lastwagen eine altmodische Waage. Es kann jeder dort ein Bündel der Lindenblüten ersteigern, der größte Anteil der Ernte geht jedoch nach Deutschland, in die Schweiz und nach Belgien. Dort wird die Ware an Apotheken und Pharmacieunternehmen verkauft. Die Lindenblüten werden dann zu Tee, Tinkturen etc. weiter verarbeitet.
Den besten Preis erzielt die Sorte Benivay, das ist die Sorte, die um Baronnies wächst.
Zum Abschluss des Festes werden die “Ritter der Lindenblüten” ausgelobt.
Sie erhalten mit einem Zitronenzweig einen Schlag auf die Schulter, dazu wird ein Glas Le Castillou gereicht — ein Getränk aus Lindenblüten.
Eine schöne Tradition, ein unvergessener Urlaub!
Vergessen Sie nicht, sich ein paar Blüten zu pflücken. Lindenblüten lindern hervorragend die Symptome von Erkältungskrankheiten, helfen bei Unruhe und schlechtem Schlaf.
Ihre Carmen Randolf